
ALSFELD (ls/jal). „Rassismus sollte niemals akzeptiert werden“: Das sind die Schlussworte, die der ehemalige, türkischstämmige Nationalspieler Mesut Özil in seinem dreiteiligen Statement zu seinem Erdogan-Foto wählt. Der Profi-Fußballer tritt aus der Nationalmannschaft aus, weil er sich im Stich gelassen und wegen seiner Herkunft herabgesetzt fühlt. Bei OL erzählen Deutsch-Türken aus Alsfeld, wie sie darüber denken – und warum der deutsche Fußball trotzdem weiter ein Mittel der Integration sein kann.
Die Medien sind voll damit: Nationalspieler Mesut Özil tritt aus der deutschen Nationalmannschaft aus. Mit drei verschiedenen Statements auf insgesamt vier Seiten reagierte der Fußballer, der beim FC Arsenal unter Vertrag steht, auf die Vorkommnisse seit seinem Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan. Über den ganzen Sonntag verteilt, veröffentlichte er seine Gedanken der letzten Monate auf Englisch und brach damit sein langes Schweigen. Am Wichtigsten erscheint dabei allerdings ein Satz: „Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, so lange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre“.
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— Mesut Özil (@MesutOzil1088) 22. Juli 2018
Die Frage, ob sein Rücktritt berechtigt war, mündet in eine viel größere Debatte. Es geht um Integration, um Rassismus im Sport und grundlegende Fragen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Denn wenn nicht mal ein Fußball-Profi wie Özil es schafft, sich integriert zu fühlen, wie sollen es dann andere Deutsch-Türken jemals schaffen? Wir haben mit türkischstämmigen Menschen in Alsfeld – viele von ihnen selbst Fußballer – darüber gesprochen und sie nach ihrer Meinung gefragt. Wir dokumentieren ihre Antworten im Wortlaut.
Recep Yagiz: „Man hat ja gesehen, wie der DFB hinter seinen Spielern steht“

Recep Yagiz (rotes Trikot im Vordergrund) beim Fußball für seine Mannschaft die SG Romrod/Zell. Foto: Stella Eckstein
„Ich denke Özils Reaktion ist richtig und ich hoffe auch, dass er nicht der einzige bleibt, der darauf so reagiert. Die ganze Erdogan-Affäre wurde in den Medien ziemlich hochgeschaukelt und ja, vielleicht war es nicht richtig, sich auf einem Bild mit Erdogan abzubilden. Aber wie er danach behandelt wurde und was gegen ihn gesagt wurde ist extrem und auch rassistisch.
Wie der DFB hinter seinen Spielern steht, haben wir in den Reaktionen der letzten Wochen ja gesehen. Als Dänemarks Nationalspieler Nicolai Jörgensen nach dem Spiel gegen Kroatien Morddrohungen erhielt, reagierte der dänische Fußballverband sofort und stellte Strafanzeigen. Als Schwendens Jimmy Durmaz nach dem Foul an Timo Werner im Internet rassistisch beschimpft und bedroht wurde, versammelte sich das ganze Team hinter ihm und schrie ‚Fuck Racism‘ in die Kamera. Aber als Mesut Özil rassistisch beleidigt wurde, rückt der Manager von ihm ab, fast der ganze DFB schweigt und ein großer Teil der Fans schreit Özil solle sich ‚verpissen‘. Ich denke, das sagt sehr viel aus.“
Ozan Akkus: „Das betrifft uns nicht direkt, hinterlässt aber Spuren“

Ozan Akkus. Foto: privat
„Es ist sehr schwierig Stellung zu beziehen. Man kann ein Stück weit die Kritik an Özil verstehen, aber andererseits auch ihn, der sich mit Frau Merkel sowie Herrn Erdogan ablichten lassen möchte. Ich persönlich habe keine richtige Meinung dazu und weiß auch nicht, wie ich mich dazu äußern soll. Es ist seine Entscheidung und diese Handlungen sollte man respektieren, egal wie man zu der Politik von Erdogan steht – ob man es gut findet oder nicht. Stattdessen gab es über die ganze Weltmeisterschaft hinweg kein anderes Thema. Deutschland ist dank schlechter Leistung verdient rausgeflogen. Da ist nicht nur Özil dran Schuld, sondern die ganze Mannschaft. Das Problem ist nur, dass man immer einen Sündenbock braucht. Özil war da natürlich gefundenes Fressen für die Medien. Ich könnte nicht eine Person aufzählen, die bei der diesjährigen Weltmeisterschaft gut gespielt hat.
Dieses Thema wird ohnehin unnötig in die Länge gezogen. Sein Rücktritt verändert auch nichts. Ich denke auch nicht, dass mit Özil eine Identitätsfigur we bricht, denn es werden auch genug Fußballspieler in Deutschland mit türkischen Wurzeln aus der Jugend nachrücken und irgendwann für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen. Das ist nicht das Problem. Das größte Problem ist, dass man während der WM viel Hass gegenüber Özil und Gündogan mitbekommen hat. Das betrifft uns (mit türkischen Wurzeln) nicht direkt, hinterlässt aber seine Spuren und man fühlt sich ein ein Stück weit angegriffen. Besonders bei Kommentaren wie: ‚Er soll zurück gehen, wo er herkommt‘, ‚er hat in Deutschland nichts verloren‘. Es wurde von einer schlecht spielenden deutschen Nationalmannschaft nur der ‚Türke‘ kritisiert. Spiel für Spiel.
Andererseits muss Özil schlau genug sein, um Fußball nicht mit Politik zu vermischen. Fussballer stehen nun einmal im Rampenlicht. Hält man sich bedeckt, passiert einem so etwas nicht. Das müsste er eigentlich wissen. Nun muss er mit den Konsequenzen leben, auch wenn diese meiner Meinung nach zu hart sind.“
Fatih Celiksoy: „Özil hat für die Mannschaft jahrelang seine Knochen hingehalten“

Fatih Celiksoy (oben in der Mitte) mit den anderen Neuzugängen der SpVgg. Leusel. Foto: akr
Ich persönlich finde es schade, wie alles gelaufen ist. Auch wenn ich nicht der größte Özil- Fan bin, was das Fußballerische angeht, spricht seine Quote in der Nationalmannschaft für sich. Wie das manchmal aussah, sei dahingestellt! Trotz allem hat er für die Nationalmannschaft jahrelang die Knochen hingehalten und das ist das, was zählt. Was die Politik angeht, habe ich langsam das Gefühl, dass bei der ganzen Sache viel Hetze dabei ist.
Ich bin sehr gespannt auf die Rückmeldung von den Verantwortlichen des DFB, die sich meiner Meinung nach zuerst an die eigene Nase packen sollten, ob sie immer richtig gehandelt haben. Die nächsten Wochen werden es sicherlich zeigen. Wenn ein Neuanfang, dann bitte auch ohne Grindel, Bierhoff und Löw, denn auch da ist nicht alles positiv.“
Adem Maden: „Wir, Deutsche und Türken, sollten aufhören uns gegenseitig etwas vorzuwerfen“

Adem Maden, der Vorsitzende der Islamischen Gemeinde Alsfeld. Foto: archiv
„Wenn in Deutschland die Meinungsfreiheit gilt, dann hat Özil genau das gesagt, was er denkt und was er fühlt. Als Außenstehender sollte man das so akzeptieren. Öl in das Feuer gießen bringt uns da nicht weiter. Wir, Deutsche und Türken, sollten aufhören, uns gegenseitig etwas vorzuwerfen und stattdessen gemeinsam Handeln. Man sollte aufhören sich gegenseitig nieder zu machen, sondern uns gegenseitig akzeptieren. Man muss nicht die gleiche politische Meinung vertreten, sollte aber anderen auch nicht seine Meinung aufdrängen. Das führt zu Gegenwehr und man erzeugt das Gegenteil.
Ich denke es ist normal, dass ein türkischstämmiger Fußballspieler mit dem Präsident beim Staatsempfang in England ein Bild macht. Sich darüber öffentlich aufzuregen und ihn als Sündenbock hinzustellen, das schadet der deutsch-türkischen Beziehung nur noch mehr.“ Vielleicht wäre es nett, wenn die Europameisterschaft 2024 in Deutschland und in der Türkei ausgetragen werden würde, das würde ein positives Zeichen setzen und großen Anklang in meiner Gemeinde finden“
Alper Beylem: „Meinungsfreiheit und Demokratie? Fehlanzeige!“

Alper Beylem im Spiel mit seiner Mannschaft der SG Altenburg/Eudorf/Schwabenrod. Foto: archiv
„Es ist in meinen Augen ein historischer und zugleich ein schwarzer Tag für den deutschen Fußball. In meinen Augen hat Özil mit seinem Statement und Rücktritt alles richtig gemacht. Er gehört zu den besten Fußballern und hat tolle Spiele für die Nationalmannschaft gezeigt! Es ist lächerlich, dass es Fans gibt, die den Misserfolg der DFB-Elf Özils Leistung zuschreiben. Es war ein kollektives Versagen der Mannschaft.
Er wurde von den deutschen Medien so stark kritisiert, dass man den Rücktritt nachvollziehen kann. Wirklich traurig! Meinungsfreiheit und Demokratie? Fehlanzeige! Stattdessen Diskriminierung, Hass und Respektlosigkeit. Wir leben in Deutschland, in dem Land, in dem Demokratie und Meinungsfreiheit groß geschrieben wird. Allerdings nur, wenn man sich der Mehrheit anpasst.
Traurig, wie sich der DFB von Özil abwendet. Solch ein Verband muss seine Spieler schützen. DFB-Chef Grindel hat in meinen Augen versagt. Ich bin mir sicher, dass Özil kein Einzelfall bleiben wird. Es werden noch Spieler folgen, die den DFB verlassen werden. Vor allem in den Jugendmannschaften. Die deutschen Fans haben übertrieben und respektlos reagiert. Lothar Matthäus hat erst vor kurzem ein Bild mit Putin geschossen. Wieso redet niemand über dieses Bild? Die deutschen Medien versuchen nur den türkischen Präsidenten schlecht darzustellen. Jeden Tag hört man etwas Neues über die Türkei und Erdogan in den Nachrichten. Die Deutschen sollten sich um ihre eigenen Probleme kümmern.
Deutsch-Türken werden sich nie akzeptiert fühlen. Wir haben uns integriert, reden fließend die Sprache und passen uns an, werden jedoch nicht akzeptiert. Das wird immer so bleiben. ‚Gewinne ich bin ich Deutscher, verliere ich bin ich Migrant‘ bringt es auf dem Punkt.“
Der Beitrag Was die türkische Community vor Ort über Özil denkt erschien zuerst auf Oberhessen-Live.