
ALSFELD (ls). In vielen europäischen Ländern wird der 8. Mai als Tag der Befreiung gefeiert. An diesem Tag im Jahr 1945 erklärte die Wehrmacht ihre bedingungslose Kapitulation, wodurch der Zweite Weltkrieg in Europa endete, während andernorts noch gekämpft wurde. Was geschah am 8. Mai 1945 in Alsfeld? Auf Spurensuche im Stadtarchiv.
Der Tag der Befreiung: In vielen europäischen Ländern wird eben dieser Tag als ein Feiertag gefeiert, nicht in Deutschland – obwohl Deutschland ganz wesentlich eben genau daran beteiligt war. Es war der Tag vor mittlerweile 77 Jahren, als die Wehrmacht ihre bedingungslose Kapitulation bekannt gab und der Krieg in Europa endete. Der Tag markiert das Ende des Faschismus, das Ende des Nazi-Regims.
Und wer sich jetzt vorstellt, dass an diesem Tag die ersten amerikanischen Panzer über den historischen Marktplatz rollten und die Alsfelder jubelnd die GIs begrüßten, der kann Recht haben – muss es aber auch nicht. Zur Wahrheit gehört, und das zeigt ein Besuch im Stadtarchiv, so richtig weiß man nicht, was exakt an diesem Tag geschah.
Zeitungen gab es nicht, die archiviert wurden und ohnehin wurde der Tag der Befreiung erst Jahre später durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in 1985 erstmalig wirklich als solcher genannt. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“, sagte er und markierte damit einen Wendepunkt innerhalb der deutschen Erinnerungspolitik.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Amerikaner aber schon längst in Alsfeld angekommen. Schon am 30. März 1945 stürmten amerikanische Truppen durch Alsfeld, brachten stellenweise auch Tod und Vernichtung des Zweiten Weltkriegs mit – und beendeten das Dritte Reich in der Stadt – nicht ohne auf Widerstand zu stoßen.
Zusammengefasst hat das OL-Gründer Axel Pries bereits, der sich auf die Aufzeichnungen vom in 2000 verstorbenen Lokalhistoriker Herbert Jäkel bezog, der dazu seinerzeit mit Zeitzeugen sprach.
Die Stadt war demnach auf eine Schlacht vorbereitet. Weder Bürgermeister Völsing noch eine Delegation Alsfelder Einwohner bei einem Bittgang hatten erreichen können, dass Alsfeld von der Wehrmacht aufgegeben wird. Stattdessen stellte man zwei Geschütze am Schlachthaus und am Burgmauerweg auf. In der Schellengasse stapelten sich Panzerfäuste, in der Marburger und Grünberger Straße wurden Bäume gefällt, die die Fahrbahn blockierten. Den Volkssturm schickte man nach Hause, aber eine schwer bewaffnete Wehrmachtseinheit von 120 Mann war bereit, Alsfeld zu verteidigen. Die Vertreter der Partei waren bereits geflüchtet, ebenso wie die Abteilung der Gestapo (Geheime Staatspolizei) aus Frankfurt, die sich zwischenzeitlich im Hochheitshaus niedergelassen hatte.
Die Wehrmachtseinheit lieferte sich mit den US-Soldaten eine wilde Schlacht, als die am 30. März gegen 8.30 Uhr mit Panzern über die Marburger und die Grünberger Straße in Richtung Altstadt anrollten – vorsichtig und langsam – derweil die Bevölkerung in den Kellern ausharrte. Die deutschen Kanonen schossen in Richtung Autobahn, wo ebenfalls US-Panzer bereit standen. Zeugen berichteten später von einem US-Panzer auf den Gleisen des Bahnhofs, der wild um sich schoss. Dort blieb ein toter GI liegen – tagelang, bis er endlich abgeholt wurde. Die Tanks fuhren links und rechts die Marburger Straße hinunter.
Und beinahe wäre Alsfeld, „a little and nice town“, wie Amerikaner selbst feststellten, sogar vollends Opfer des Krieges geworden. Wie US-Offiziere später erklärten, hatten sie am frühen Morgen wegen des zu erwartenden Widerstandes eigentlich Bomber angefordert, die Alsfeld einäschern sollten, ehe die Truppen in den Ort marschieren. Aber – Glück für die Einwohner – die Anforderung versickerte offenbar in der Bürokratie. Die Bomber kamen nicht, und Alsfeld behielt seine Altstadt.
Jäkel war es auch, der zum 50. Jubiläum in 1995 in einem Leserbrief seine eigenen Erfahrungen zum Tag der Befreiung erzählte, der in der Oberhessischen Zeitung in der Samstagsausgsbe am 6. Mai veröffentlicht wurde – passend zu einem Zeitzeugenbericht von Wolfgang Schhnägelberger, der den Tag ebenfalls in Kriegsgefangenschaft erlebte, allerdings in russischer.
Jäkel jedenfalls schrieb, dass er selbst den 8. Mai in amerikanischer Gefangenschaft erlebte mit 80.000 Kameraden auf dem „freien Feld, blankem Erdboden, ohne Dach überm Kopf, Wind und Wetter ausgesetzt, mit ungenügender Kleidung und Ernährung, verdreckt, verlaust, ausgelaugt, ohne Hoffnung“.
Er wolle dass weder Nationalsozialismus und Militarismus verherrlicht noch die Kriegsgreuel und Völkermorde ignoriert werden. „Als Historiker und Lehrer habe ich immer die Meinung vertreten, dass jede Generation aus der Geschichte lernen sollte. Angesichts der vielen grausamen Kriege auf dieser Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bleiben aber erhebliche Zweifel.“
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