
ALSFELD (ls). Ein Klimastreik sollte es sein zu dem Klimaschützer am Freitag auf den Alsfelder Marktplatz geladen hatten. Im Mittelpunkt stand allerdings das geplante Industriegebiet „Am weißen Weg“. Der Streik stand unter dem Motto #PeopleNotProfit – und das IG wurde passend dazu zum lokalen Paradebeispiel.
Damit schloss sich die lokale „Fridays For Future“-Gruppe dem 10. globalen Klimastreik an, den es in mehreren hundert Orten in Deutschland und vielen Ländern weltweit an diesem Tag gab – und eben auch in Alsfeld. Unter dem Motto #PeopleNotProfit wurde auf dem Marktplatz für eine klimagerechte Politik protestiert, darunter nicht nur Teilnehmer von „Fridays for Future“ (FFF), sondern auch einige Privatpersonen, Schüler, Lokalpolitiker der Linken oder der ALA sowie Vertreter der Gruppen wie BUND, „Verkehrswende Vogelsberg“, das „Gäst_innenhaus Jakob“, „Acker bleibt! Alsfeld“ und „Alsfeld – Region mit Zukunft“.
Schon in der Veranstaltungsankündigung hatte FFF angekündigt, mit dem Streik Widerstand „gegen die Ausbeutung von Menschen und Natur“ zu zeigen – und das am aktuellen Beispiel: dem geplanten Industriegebiet „Am weißen Weg“. Die Politik solle sehen, dass man sich keinen „weiteren Quadratmeter Bodenversiegelung und keinen noch größeren Verkehrswahnsinn leisten“ könne. Auf dem Marktplatz in Alsfeld wurden diese Argumente nochmal durch erzählerische Dystopien der FFF-Teilnehmer bekräftigt.

Viele Teilnehmer waren auf den Alsfelder Marktplatz zum Klimastreik gekommen. Die Polizei meldete etwa 87 Teilnehmer, alles verlaufe sehr friedlich. Eigenen Zählungen der Organisatoren zufolge waren 120 Teilnehmer anwesend. Alle Fotos: ls
„Jetzt stehen wir im Jahr 2022. Wenn wir so weitermachen wie jetzt, dann wird das was ich vorgelesen habe vielleicht bald Realität. Jeder der hier steht tut etwas für ein besseres Klima und Naturschutz“, erklärte der junge Aktivist Max Nordmeier am Ende der erzählten Dystopie und forderte dazu auf, aktiv etwas gegen die falsche Politik zu tun. Wenn die Regierung aktiv beim Klimaschutz helfe, könne der Wandel gestoppt werden. „Aber es wird schon bald zu spät sein, zu handeln“, mahnte er. „Jeder Tag zählt.“
Die beiden jungen FFF-Aktivistinnen Melina Schmalz und Luisa Keil unterstützen das und mahnten in ihren Ansprachen, dass der CO2-Ausstoß im vergangenen Jahr so hoch gewesen sei, wie nie. „Atom-Energie wird jetzt als ‚grün‘ eingestuft“, sagte Schmalz. Handeln bedeute aber auch, vor der eigenen Haustür zu kehren. Flächenversiegelung, Luftverschmutzung, Lärmbelästigung und die geplante Zerstörung von Lebensraum müsse gestoppt werden, sagte sie mit Blick auf das Industriegebiet.
Auch ein Blick in die Ukraine samt Schweigeminute durfte nicht fehlen. Schmalz sagte, dass viele Menschen gerade in diesem Augenblick grausame Dinge erleben, die die meisten sich wahrscheinlich nicht vorstellen könnten. „Kein Krieg auf der Welt ist zu rechtfertigen und deshalb möchten wir aus Solidarität und aus vollstem Respekt zu den Menschen in der Ukraine eine Schweigeminute machen.“
Dörr: „Ihr seid die Sterne der Region“
Nicole Dörr, Mitinitiatorin der Initiative „Alsfeld – Region mit Zukunft“, richtete ein paar Worte zum geplanten Industriegebiet an die Menschenmenge, nicht ohne nochmals auf die Geschehnisse des vorherigen Donnerstagabends einzugehen, wo eigentlich eine Bürgersprechstunde für die Eifaer hätte stattfinden sollen. Die gab es zwar, allerdings zunächst etwas anders als gedacht und nicht ohne Gegenprotest vor den Türen der Feuerwache.
Bürgerdialog zum Industriegebiet mündet in Chaos und Protest
„Schaut euch mal um“, forderte sie und spielte auf die Anzahl der Teilnehmer an. Während die Organisatoren des Klimastreiks eigenen Zählungen nach auf 120 Teilnehmer vor dem Rathaus kamen, sprach die Polizei auf Rückfrage von etwa 87 friedlichen Demonstranten. Dörr forderte Applaus für die Eifaer, denn gestern Abend seien sie von Ortsvorsteher Rainer Feldpusch zum Bürgerdialog eingeladen worden, doch „leider haben sich die Herrschaften auf einen viel zu kleinen Raum geeinigt mit 80 Sitzplätzen und wir sind 800 Menschen in Eifa“, sagte sie.
Man sei sehr enttäuscht vom Ortsbeirat, der sich nie zum Industriegebiet geäußert habe. Die Gemarkungsgrenze von Eifa würde direkt am Industriegebiet grenzen, die Folgen seien direkt spürbar. Schon jetzt würden Häuserwände einreißen durch die Lkw, die den Ort durchqueren, hinzu komme der Lärm durch den Schießstand und durch den lichten Wald, der durch Waldsterben des Klimawandels verursacht werde, werde der Lärm der Autobahn nicht aufgehalten.
Deshalb sei man am Donnerstagabend zum Bürgerdialog gegangen und die meisten von ihnen hätten draußen warten müssen. „Was wir dann gemacht haben ist, wir haben einen Kreis draußen gemacht mit über 150 Menschen und haben diskutiert welche Forderungen wir an die Stadt Alsfeld haben“, sagte sie. Darunter sei unter anderem die Forderung gewesen, dass die Gelder nicht weiter für das Industriegebiet ausgegeben werden, sondern für die Sanierung der Stadt und für kleinere und mittlere Unternehmen.
Sie fordern außerdem, dass bestehende Industrieflächen, die es bereits gibt, genutzt werden anstatt neue auszuweisen. „Wir möchten auch, dass an einem Kompromissvorschlag gearbeitet wird“, sagte Dörr. Der könne zwar Logistik nach Alsfeld holen, dafür werde allerdings kein neues Land verbraucht. Als sie vor ein paar Monaten mit der Bürgerbewegung angefangen habe, hätten viele Eifaer gesagt, dass man nichts verändern könne. „Glaubt ihr das auch, dass ihr nichts bewirken könnt?“, fragte sie in die Runde und hörte laute „Nein“-Rufe.
Daraufhin lud Dörr die Teilnehmer nach Eifa ein, denn da sie gestern nicht in die Bürgerversammlung rein kamen, laden sie nun zu einem „richtigen Bürgerdialog“ Bürgermeister Stephan Paule sowie seine „Mitstreiter und Fans“ nach Eifa ein.
„Jetzt schaut euch nochmal um, ihr seid die Sterne in dieser Region. Ihr seid diejenigen, die den Glaubenssatz ändern, den übrigens der Bürgermeister und das Stadtparlament teilweise teilen, dass ihr nichts ändern könnt. Ihr seid selbstbewusst, ihr habt Arsch in der Hose. Und das wünsche ich unserer ganzen Region“, sagte Dörr.

Schüler, Jugendliche, junge Erwachsene und ältere Erwachsene: Aus allen Altersschichten waren die Teilnehmer gekommen.
Forderung: Paule soll politische Kehrtwende in lokaler Politik einlegen
Unterstützt wurde sie außerdem von Organisator Tom Zeder, der auf dem Protest gegen den Lückenschluss der A49 bei Dannenrod bekannt ist. „Wir protestieren auch gegen die Umweltzerstörung weltweit. Überall gibt es die lokalen Beispiele und das beste lokale Beispiel ist das Industriegebiet ‚Am weißen Weg‘, größtenteils DHL. Da wollten wir eine ganze Verkehrs- und Logistikwende einleiten“, sagte Zeder. Zwischen Politik und allen Bürgern müsse Dialog entstehen, gleichzeitig fordert Zeder einen Bürgerentscheid und auch der Regionalplan Mittelhessen stellt er in Frage.
Dass ein Bürgerentscheid seiner Meinung nach nicht mehr umzusetzen ist, erklärte Paule bereits mit Blick auf die gleiche Forderung am Donnerstagabend. „Bei Bauleitplanungen sind Bürgerentscheide nach der HGO nur in Bezug auf den Aufstellungsbeschluss zulässig. Dieser ist schon 2018 erfolgt“, sagte Paule.
Zeder warf Paule im Gespräch mit OL Lobbyismus vor – und auch den Ausschluss der Bevölkerung. „Ich denke, die Art der Transparenz, die dort vorgezeigt – oder vorgespielt – wird, ist keine wirkliche Transparenz, die zeigt, was auf die Menschen zukommen wird, wenn das Industriegebiet gebaut werden würde“, erläuterte er. Die Menschen, die einbezogen werden und denen Gewicht gegeben wird, seien lediglich Konzerne wie DHL und nicht die Menschen aus Alsfeld. Man hätte sich gewünscht, dass Paule am Donnerstagabend direkt auf sie zugegangen wäre, dass er sich den Problemen und unangenehmen Fragen stelle.
„Und eigentlich, dass er mit seiner ganzen Partei und allen Parteien eine Kehrtwende einlegt, was die lokale Politik betrifft“, sagte er. Paule soll den Klimawandel ernst nehmen und Logistikzentren nicht mehr als Zukunftsoption in Betracht ziehen.
Der Beitrag „Jeder Tag zählt“ erschien zuerst auf Oberhessen-Live.