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„Es ist eine Wunde, in die wir den Finger legen“

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ALSFELD (ls). Es ist ein wachsendes Problem: Wenig Rente und Armut im Alter. Neu ist das Thema nicht, ganz im Gegenteil. Immer wieder liest man in den Medien über die steigende Rate von Altersarmut in Deutschland. In Alsfeld standen an diesem Freitagnachmittag dutzende Menschen auf dem Marktplatz. Sie demonstrierten und mahnten in Stille. Gegen Altersarmut, für ein gerechteres und solidarisches Rentensystem.

Kalter Wind zieht zwischen den Fachwerkhäusern entlang auf den Alsfelder Marktplatz, diesig ist der Nachmittag. Mit Mützen und Handschuhen wärmen dich die Menschen vor der Kälte, während große Banner unbeirrt hoch gehalten, Schilder in die Luft gestreckt werden. „Die Rente muss für alle lebenswürdig sein“ oder „Steuer auf Rente ist ungerecht“ ist darauf zu lesen. Auf einem großen, weißen Transparent in der Mitte der Menschentraube prangte in großen, schwarzen Buchstaben „Gegen Altersarmut“. Genau das hat die Menschen auf dem Marktplatz zusammengebracht. Sie demonstrieren und mahnen in Stille. Der Veranstalter wird später von mehr als 100 Teilnehmern sprechen.

Eingeladen hatte die Initiative „Menschen gegen Altersarmut“, die mit einer Mahnwache auf das Thema aufmerksam machen wollte. „Ich denke, wir haben einen Nerv getroffen, wie man hier gerade sieht“, erklärt Mitorganisator Ingo Schwalm sichtlich erfreut schon vor Beginn. Zu diesem Zeitpunkt haben sich bereits rund 50 Menschen eingefunden – unter ihnen nicht nur Rentner, sondern auch einige junge Leute und Kinder. Im Laufe der Mahnwache schließen sich immer mehr Menschen der Gruppe auf dem Marktplatz an. „Für mich ist das jetzt schon ein Erfolg“, freut sich Schwalm.

Mitorganisator Ingo Schwalm bei der spontanen Rede. Alle Fotos: ls

Bundesweit hat sich als Antwort auf die „Fridays for future“-Bewegung die Kampagne „Fridays gegen Altersarmut“ gebildet, der sich zahlreiche Menschen angeschlossen haben. Die Kampagne ist allerdings mittlerweile in Verruf geraten, weil ihr eine Verbindung in die rechte Szene nachgesagt wird. In Facebook-Gruppen der Bewegung würden Sätze gepostet wie „Wir kriegen keine Rente, weil das ganze Geld für Flüchtlinge verbraucht wird“, berichtet der BR. Aufrufe zu Mahnwachen würden durch Vertreter von Parteien wie der AfD, der NPD sowie der rechtsextremen Kleinst-Partei Die Rechte verbreitet. Die Gewerkschaft Verdi soll ihre Mitarbeiter vor dem „reinen Populismus“ der Bewegung gewarnt haben. „Seid weiterhin laut und aktiv gegen Altersarmut, aber lasst die Finger von ‘Fridays gegen Altersarmut’“, zitiert der BR aus einem internen Papier.

„Mir wurde heute schon mit dem Verfassungsschutz ‚gedroht‘. Ich sage, wir sind keine Nachahmung, denn wir haben eigene Forderungen“, erklärt Schwalm, der für die SPD im Kreistag sitzt und als Vorsitzender des DGB Vogelsberg selbst Gewerkschafter ist. Eine zentrale Forderung ist, dass die Rente bei 75 Prozent des letzten Einkommens liegen soll, statt der 48 Prozent, die es aktuell seien. Jedem stehe eine Rente zu, von der man in Würde leben könne. „Wo ist das viele Geld? Wir sind ein reiches Land“, sagt er bei seiner kurzen Ansprache.

Weiter wendet sich die Initiative gegen die doppelte Besteuerung. „Wir fordern die Steuerbefreiung auf ausgezahlte Rentenbeiträge. Es kann nicht sein, dass von der Betriebsrente noch Kranken- und Pflegebeiträge abgezogen werden“, forderte der Mitorganisator auf dem Marktplatz. Noch weiter gehen die Forderungen: Man wollte eine gesamte Steuerbefreiung für die Betriebsrente und ein solidarisches, gerechteres Rentensystem, in das ausnahmslos alle einzahlen müssen – auch Beamte und Politiker. „Jedem steht eine Rente zu, mit der man in Würde leben kann“, sagt Schwalm.

Der wohl jüngste Teilnehmer an der Mahnwache mit seinem selbst geschrieben Schild. „Nieder mit der Armut“ war darauf zu lesen.

Die spontane, kurze Rede von Schwalm findet in der Gruppe Anklang. Die Leute applaudieren und stimmen lautstark zu. „Nieder mit der Altersarmut“, rufensie gemeinsam, angeregt von dem Schild des wohl jüngsten Demonstranten vor Ort. „Es ist eine Wunde, in die wir den Finger legen und den werden wir weiterhin reinlegen“, sagt Schwalm. Alle 14 Tage wolle man die Mahnmache auf dem Marktplatz wiederholen.

Weitere Eindrücke:

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Der Beitrag „Es ist eine Wunde, in die wir den Finger legen“ erschien zuerst auf Oberhessen-Live.


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